VBGO
Ein Zeitzeuge berichtet.
„Wir fuhren den Weg von Podelzig nach Klessin. Die Felder links und rechts vermint. Vor uns ein Trümmerberg. Die Reste vom Schloss sahen aus wie eine Wanduhr.“ Mit diesen Sätzen begannen die Ausführungen von Herrn Reinhard Lehmann. Jeder der Anwesenden hatte sofort dieses oft publizierte Bild der Schlossruine vor Augen. Das zerstörte Portal mit dem markanten runden Fenster.
Anlass dieses Treffens war der diesjährige Herbsteinsatz der Mitglieder des Vereins zur Bergung Gefallener in Osteuropa e.V. (VBGO) in Klessin. Herr Reinhard Lehmann war aus Müllrose, seinem heutigen Wohnort, angereist um seine Erinnerungen an Klessin den anwesenden VBGO Mitgliedern zu schildern. An diesem sonnigen Tag Anfang Oktober standen wir gemeinsam auf dem Acker südlich der in Richtung Oder verlaufenden Asphaltstraße und folgten aufmerksam den Ausführungen.
Herr Lehmann wurde als drittes von insgesamt sechs Kindern im Januar 1938 in Klessin geboren. Seine Eltern, Frida und Wilhelm Lehmann, zogen 1934 von der Neumark nach Klessin. Der Vater war auf dem Gutshof der Familie von Albedyll angestellt. Herr Lehmann berichtete von einer unbeschwerten, harmonischen Kindheit. „Dort in dem kleinen Wäldchen spielten wir.“ Mit der Hand zeigte er in Richtung Lebus, zu der noch heute sichtbaren Waldkante ca. 300 Meter von Klessin entfernt. Bald schon trübte sich die unbeschwerte Zeit. Im Spätherbst 1944 wurde der Vater zur Wehrmacht eingezogen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Strausberg wurde er an die Front ins Baltikum verlegt. Lediglich zu einem kurzen Urlaub kam der Vater zurück nach Klessin. Bei Kriegsende geriet er in sowjetische Gefangenschaft. Herr Lehmann sollte seinen Vater nie wiedersehen. Im Jahre 1947 verstarb der Vater in Kybissen, dem heutigen Kibisy, im Ermland im Gefangenenlager.
Anfang Februar 1945 war der in Klessin zu hörende Geschützdonner ein Vorbote der herannahenden Front. Am 4. Februar 1945 mussten Frau Frida Lehmann und ihre sechs Kinder, Christel, Wilfried, Reinhard, Käthe, Uwe und Inge Klessin verlassen. Zu Fuß, bei bitterer Kälte, ging es in Richtung Westen. Vorläufige Endstation ihrer Flucht war Werneuchen. Dort kam die Familie in der Försterei unter. Sowjetische Truppen nahmen den Ort ein und zogen weiter Richtung Berlin. Nun hieß es für die Familie den Rückweg in Richtung Klessin anzutreten. Hunger und Angst waren ständige Begleiter dieser Odyssee. Was die Familie Lehmann dann im Frühsommer 1945 in Klessin vorfand, ist für die nach dem Krieg geborenen Generationen kaum vorstellbar. Trümmer, Schützengräben und die Toten der Kampfhandlungen waren allerorts präsent. „Hier in unserem Garten standen Kirschbäume. Darunter lagen tote Soldaten.
“ Ein Leben an diesem Ort war unmöglich, erstrecht nicht mit sechs Kindern. Deshalb zog die Familie nach Podelzig ins Unterdorf. Auch jetzt war die Versorgungslage mit Lebensmitteln schlecht. Die Kinder gingen auf den Feldern stoppeln, die Mutter kochte Brennnesseln um die Nahrungsgrundlage zu sichern. Das erste Fett was sie nach langer Zeit zu sich nahmen hatte Durchfall und Krankheit zur Folge. 1946 zog die Familie zu den Eltern des Vaters. Dieser Aufenthalt war nur von kurzer Dauer. „Dort wurden wir von den Behörden zur Persona non grata erklärt und mussten den Ort wieder verlassen.“ Somit ging es wieder zurück nach Podelzig. 1949 ereilte die Familie ein weiterer schwerer Schicksalsschlag. Der ältere Bruder Wilfried starb an einer Gehirnhautentzündung. Trotz dieser schweren Zeit in Klessin zieht es Herrn Lehmann nach eigenem Bekunden immer wieder hierher zurück. Beeindruckt von den Schilderungen begleiteten wir Herrn Lehmann und seine Frau zurück zu Ihrem Auto. Unser Blick ging zu der von den Mitgliedern des Heimatverein Wuhden errichteten Nachbildung des zerstörten Schlossportals.
Foto von links: Lara Indra (VBGO), Wolfgang Ockert (VBGO), Reinhardt Lehmann, Holger Ullmann (Neffe von R.Lehmann), Daniel Herrmann (VBGO, Foto: Thomas Siepert